Deutsche Grabsteine im Schluckenauer Zipfel/Tschechien dokumentiert
Der Projektkoordinator des CompGen-Grabsteinprojekts, Holger Holthausen, meldete, dass in den vergangenen beiden Monaten August/September 2024 erfreulicherweise mehr als 100 neue Dokumentationen von Grabsteinen auf den Friedhöfen archiviert wurden. Mittlerweile umfasst die Datenbank des Grabstein-Projekts 9.100 Dokumentationen, mit 3,8 Millionen Fotos von Grabsteinen und 6 Millionen Personendaten.
Allen Mitarbeitern gebührt für ihr Engagement ein großes Dankeschön!
Wir nehmen die Meldung zum Anlass, den Bericht über die Arbeit eines „Grabsteiners“ zu veröffentlichen:
Ein besonderes Grabstein-Projekt in Nordböhmen
Im Norden Tschechiens wurde jetzt ein umfangreiches Grabsteinprojekt abgeschlossen. Erstmals ist damit eine komplette Region vollständig dokumentiert. Alle noch vorhandenen, entzifferbaren deutschen Grabsteine im so genannten Schluckenauer Zipfel (Nordböhmisches Niederland) wurden fotografiert und die Angaben zu den Personen aufgelistet. Diese Daten wurden im Internet auf der Seite des Grabsteinprojekts des Vereins für Computergenealogie öffentlich zugänglich gemacht und sind nicht zuletzt für künftige Generationen archiviert.
Das Projekt wurde von Sebastian Weise aus Halle (Saale) in Zusammenarbeit mit der Sudetendeutschen Heimatpflege bestritten und wurde aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration gefördert. Der Fotograf ist auch Träger des Sudetendeutschen Kulturpreises für Bildende Kunst 2017. Er hat in mehrmonatiger Arbeit 38 Friedhöfe besucht und fotografiert. Als Modellregion wurde der Schluckenauer Zipfel ausgesucht, weil Weises Vorfahren aus den Orten Zeidler und Fugau stammen und er sich schon lange künstlerisch mit der Region beschäftigt. Dier Landstrich grenzt mit drei Seiten an Deutschland und ist der nördlichste Zipfel Böhmens.
Über 8.000 Fotos aus 38 Friedhöfen
Die Umstände vor Ort stellten sich unterschiedlich dar: Von Gottesackern, die noch in Nutzung waren und auch die alten deutschen Gräber in grundhafter Pflege unterhielten, bis hin zu völlig überwachsenen, aufgegebenen Flächen und Ortschaften war die ganze Bandbreite vorzufinden. Es wurde jeweils ein Bild des Grabsteins mit der kompletten noch erhaltenen Inschrift und eines der gesamten Grabstätte gemacht. Insgesamt kamen fast 8.100 Aufnahmen zusammen. Als dritter Schritt ergab sich die Sichtung und Aufarbeitung der Fotos und die Einpflege der Informationen in Datenlisten.
Alle Angaben wie Geburts- und Sterbedaten, Ortsangaben und Hinweise zu Beruf und Auszeichnungen oder ähnliche Inschriften (außer Sinnsprüche) wurden vollständig übernommen. Es wurden die Daten von 7.071 Personen erfasst, die auf 3.188 noch lesbar beschrifteten Grabstätten ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die Zahl der noch auszumachenden Gräber ist weitaus höher, hier wurde mangels noch vorhandener Inschriften oder Grabsteine auf eine Dokumentation verzichtet. Es wurden aber Ansichten der brachliegenden Grabfelder fotografiert, wie z.B. vom Friedhof in Phillippsdorf (siehe Beitragsbild).
Querschnitt des Lebens der deutschen Bewohner
Die gesammelten Daten ergeben einen Querschnitt des Lebens im Schluckenauer Zipfel vor der Vertreibung der deutschen Bewohner. Interessant aus kultureller Sicht sind die vermerkten Berufe der Verstorbenen. Sehr stolz war man zum Beispiel auf alle Bereiche des Verkehrswesens, so war ein Lokheizer oder Straßenwärter ein ehrbarer Beruf und wurde als dieser in Erinnerung gehalten; heute wäre dies sicher ein Kuriosum. Auch die Strukturen von Familien und die Verteilung von Namen lassen sich mit den Datenlisten nachvollziehen. Hinweise zu den damals beliebten Vornamen ergeben sich ebenso. Selbstverständlich ist diese Datenauswertung nicht repräsentativ. Die Umstände zum Erhalt der alten deutschen Grabstätten sind in den einzelnen Ortschaften sehr unterschiedlich gewesen, einige Gemeinden bemühen sich um die Sicherstellung und Verwahrung der Steine, einige lassen großzügig abräumen, wieder andere lassen den Dornröschenschlaf der alten Friedhöfe andauern. Das Grabsteinprojekt im Schluckenauer Zipfel hat den Status Quo in einem gesamten ehemaligen Verwaltungsbezirk festgehalten und ist für eine künftige Bestandssicherung eine wichtige Grundlage.
Auch andere sudetendeutsche Regionen sollten nach diesem Beispiel möglichst umfassend dokumentiert werden. Die Mitarbeit am Grabsteinprojekt des Vereins für Computergenealogie ist für alle Interessierten – auch Nichtmitglieder – offen.
Sebastian Weise