150 Jahre Personenstandsregister in Preußen
Am 1. Oktober 1874, also vor 150 Jahren, trat in Preußen das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874″, das Personenstandsgesetz, in Kraft.
Vorläufer des Personenstandsgesetzes von 1874
Neben den noch im 19. Jahrhundert üblichen Kirchenbüchern, die als primäre Quelle für den Personenstand dienen, gab es bereits die aus der napoleonischen Zeit stammenden Zivilregister, die größtenteils bis 1814, aber auch darüber hinaus geführt wurden. In den linksrheinischen Teilen der neuen preußischen Gebiete wurden diese Zivilstandsregister weiterhin geführt. Es dauerte einige Zeit, bis das preußische Beamtentum das Potential erkannte, welches die Zivilstandsregister enthielten, was in vielen Bereichen wichtig war:
- als offizieller Nachweis für Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle,
- Identifikation von Personen für Ausweisdokumente,
- als demografischer Daten für staatliche Statistiken
- relevant zudem für erbrechtliche Angelegenheiten und familienrechtliche Verfahren, wie z.B. Scheidungen.
Für viele dieser Bereiche waren die Inhalte der Kirchenbücher nicht ausreichend und auch nicht einheitlich geführt. Auch oblag die Führung dieser Bücher größtenteils nicht staatlichen, sondern kirchlichen Stellen. Nach und nach wurden deshalb in Preußen Gesetze erlassen, die zunächst die staatliche Protokollierung der Ehestände, dann aber auch die der Geburts- und Sterbefälle regelte.
In der „Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat“ vom 5. Dezember 1848 wird in Artikel 16 festgelegt, dass die „…bürgerliche Gültigkeit der Ehe (…) durch deren Abschließung vor den dazu bestimmten Civilstands-Beamten bedingt…“ ist. Ferner wird darin bestimmt, dass die „…kirchliche Trauung (…) nur nach der Vollziehung des Civilaktes stattfinden …“ kann.
In den folgenden Jahren erkannte man die Notwendigkeit, die Registerführung auch durch ein Gesetz zu regeln. Im Folgenden wird in der Revision der „Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat“ vom 31. Januar 1850 in Artikel 19 bestimmt, dass die „… Einführung der Civilehe nach Maaßgabe eines besonderen Gesetzes (bedarf), was auch die Führung der Civilstandsregister regelt“.
In den nachfolgenden Jahren wurden nun Bürgermeister und Gemeindevorsteher mit der Führung der zivilen Register beauftragt. (Gemeinde-Ordnung. v. 11. März 1850, §§58, 114 Nr. 1 bzw. Städte-Ordnung von 1853, §62 Nr. II). Insbesondere wurde dies 1856 für die westfälischen Städte (Städte-Ordnung vom 19. März 1856) und die der Rheinprovinz (Städte-Ordnung vom 15. Mai 1856), sowie für Frankfurt a. M. (Gesetz vom 25. März 1867) und für die preußische Provinz Schleswig-Holstein (Gesetz vom 14. April 1869) entsprechendes geregelt.
Mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 gab es nun innerhalb Preußens ein Wirrwarr verschiedenster Ordnungen und Gesetze, die teilweise für ganze Provinzen, aber auch teilweise nur für bestimmte Städte und Gemeinden galten. In einem Nachbarstaat der preußischen Provinz Hohenzollern, dem Großherzogtum Baden, wurde durch ein Gesetz vom 21. Dezember 1869 die Zivilehe eingeführt und auch gleich die Führung der Personenstandsregister ab dem 1. Januar 1870 als Nachfolger der bisher in Baden üblichen Standesbücher geregelt. In Baden verzichtete man aber als wichtigen Unterschied von Anfang an auf die Angabe des Religionsvermerks, was auf die liberale Tendenz in Baden zurückzuführen ist, die als Folge des Kulturkampfes die Trennung von Staat und Kirche durchsetzt.
Daraufhin begann auch der preußische Staat unter dem Eindruck seines eigenen Kulturkampfes mit der katholischen Kirche über die Einführung des zivilen Personenstandwesens nachdenken.
Bestimmungen des Personenstandsgesetzes von 1874
Aus den Erfahrungen mit der Erfassung des zivilen Personenstandes zum einen im katholischen Rheinland und Westfalen, zum anderen aber auch im benachbarten Großherzogtum Baden erließ der preußische Staat nun entsprechende Gesetze und Verordnungen.
Im „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ vom 9. März 1874 wird für die gesamte preußische „… Monarchie, mit Ausnahme des Appellationsgerichtshofes Cöln und des Gebiets der ehemaligen freien Stadt Frankfurt a. M. …“ beschlossen, dass von nun an „… Geburten, Heirathen und Sterbefälle …“ in die dazu bestimmten Standesamtsregister erfolgen müssen.
Als Standesbeamte werden zunächst die Bürgermeister der Stadtgemeinden bestimmt; diese können ihre Beigeordneten – oder auch eigene Standesbeamte – mit den Geschäften beauftragen. Schon jetzt können größere Stadtgemeinden in mehrere Standesamtsbezirke unterteilt werden, was in einigen Fällen tatsächlich durchgeführt wurde. Berlin wurde von Anfang an bereits in 13 Standesamtsbezirke und damit Standesämter unterteilt, im Rheinland und in Westfalen wurden für Stadt- und Landgemeinden oft getrennte Standesämter eingerichtet.
Wie die Eintragungen auszusehen haben, wird genau regelt, die Eintragungen in die Register sollen „… unter fortlaufenden Nummern …“ erfolgen. Zwischenräume sind „…durch Striche auszufüllen, die wesentlichen Zahlenangaben mit Buchstaben zu schreiben.“ Zudem soll von „… jedem Standesbeamten … drei Standesregister unter der Bezeichnung Geburtsregister, Heirathsregister, Sterberegister …“ geführt werden. Im Gegensatz zu heute war die Führung der Standesamtsregister für die jeweiligen Beteiligten kostenfrei gewesen. Kostenpflichtig waren nur die Auskünfte aus diesen Registern, wobei gnädigerweise bei „… Unvermögen der Beteiligten (…) die Einsicht (…) und die Ertheilung der Auszüge kostenfrei…“ gewährt wurde.
Ferner wird für die übliche mündliche Anzeige eines Vorgangs bestimmt, dass folgende Informationen eingetragen werden sollen:
- den Ort und Tag der Eintragungen;
- die Aufführung der Erschienenen;
- den Vermerk des Standesbeamten, dass … er sich die Überzeugung der Identitaet der Erschienenen verschafft hat;
- den Vermerk, daß die Eintragung … genehmigt ist;
- die Unterschrift der Erschienenen … oder … ihr Handzeichen …;
- die Unterschrift des Standesbeamten.“
Randvermerke, Nebenregister, Formulare und Religion
Bereits hier wird geregelt, dass „Zusätze, Löschungen oder Abänderungen … am Rande zu vermerken …“ sind.
Damit die gesammelten Einträge nicht nur im führenden Standesamt vorliegen und der Gefahr eines möglichen Verlustes ausgesetzt sind, werden nach Ablauf eines Kalenderjahres vom Standesbeamten Abschriften der Urkunde in ein Nebenregister überführt. Dieses wird dann der Aufsichtsbehörde eingereicht, heute finden sich diese Nebenregister in den Beständen der Landesarchive wieder. Dabei sind Änderungen in den Hauptregistern immer mit dem Nebenregister abzugleichen.
Im weiteren Verlauf des Gesetzestextes wurden für Geburten, Heirats- und Sterbefälle genauestens die abzufragenden Informationen aufgelistet. Anders als bei der Einführung der Personenstandsregister in Baden 1870, welche zunächst komplett handschriftlich als Text geschrieben wurde, gab es Formulare, in die der Standesbeamte den Text hineinschreiben konnte, wobei natürlich nichtzutreffende Teile gestrichen oder wichtige Informationen ergänzt werden konnten.
Bei den zu sammelnden Informationen fällt die damals wichtige Angabe der Religionsgemeinschaft auf, insbesondere im damals hauptsächlich evangelischen Preußen fielen die katholischen Beurkundungen, bei den – in größeren preußischen Städten zumeist evangelischen – Standesbeamten auf.
Dazu wurde in den Regelungen zur Ehe auch festgelegt, dass die „… religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung … erst nach Schließung der Ehe vor dem Standesbeamten…“ stattfinden dürfen, was im katholischen Westfalen sauer aufgestoßen ist. Deswegen ist auf Heiratsurkunden dieser Zeit in dieser Region öfters als Randvermerk zu finden, dass die „… Bezeichnung als Ehefrau (…) von der Braut verweigert“ wurde.
Dieses Gesetz galt mit den oben beschriebenen Ausnahmen für das gesamte preußische Königreich, ging aber nahezu wortgleich in das „Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 06.02.1875 über, welches am 01.01.1876 für das gesamte damalige Deutsche Reich in Kraft trat. Somit kann es nun mit Fug und Recht als direkter Vorgänger des heutigen Personenstandsgesetzes gelten.
Heutzutage bewahren viele Landesarchive die Nebenregister, in manchen Fällen auch Hauptregister der Personenstandsurkunden auf. Welche diese sind, kann man diesem Blog-Artikel von Mai 2024 entnehmen.
Thomas Dickel, ist Mitglied des Vereins für Computergenealogie (CompGen) und der Westfälischen Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung (WGGF)