Gedenktag und Familiendatenbank Sinti als Beitrag zum Gedenken an Völkermord
Zwischen 220.000 und 500.000 Sinti und Roma wurden im Nationalsozialismus europaweit systematisch ermordet. Diese ungenaue Zahl spiegelt in Teilen zwar auch eine schlechte Quellenlage, vor allem aber wohl ein nach wie vor geringes Interesse an der Aufarbeitung seitens Politik, Forschung und Öffentlichkeit wider. Seit 2015 ist der 2. August Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma und seit diesem Jahr gibt es die Familiendatenbank Sinti als Beitrag zum Gedenken an den Völkermord.
Europaweiter Tag zum Gedenken
Bereits seit ihrem Auftauchen im deutschen Sprachraum im 15. Jahrhundert waren Sinti, sowie ab Mitte des 19. Jahrhundert auch die aus Osteuropa zuwandernden Roma, fortwährender Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Seinen furchtbaren Höhepunkt fand dies im Völkermord durch die Nazis. Aber auch nach Ende der NS-Zeit setzten sich Stigmatisierung und Repressionen weiter fort. Verunglimpfungen als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ wurden nahtlos weiter kolportiert und die Verfolgung durch den NS-Staat damit für legitim erklärt. Ein Wandel vollzog sich nur sehr schleppend und nahm erst durch die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in den 1970ern langsam Fahrt auf. Als solcher anerkannt wurde der Völkermord schließlich 1982.
Der 2. August, an dem 1944 die letzten Überlebenden im so genannten „Zigeunerlager Auschwitz“ ermordet wurden, ist seit 2015 der Europäische Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. Am Freitag, 2. August 2024, wird der 80. Jahrestag in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau begangen und um 12:00 Uhr per Livestream übertragen.
Südlich vom Berliner Reichstag ist der Eingang zum Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, einem runden Wasserbecken mit schwarzem – „endlos tiefem“ – Grund.
Fotos: © Rolf Krahl / CC BY 4.0 (via Wikimedia Commons)
Die Familiendatenbank Sinti
Einen Beitrag zur Erinnerungskultur möchte Stefan Rückling mit seiner Familiendatenbank Sinti leisten, die er im April 2024 eingerichtet hat; hier im CompGen-Blog wurde dazu informiert.
Seit er 16 ist, betreibt er Familienforschung und hat sie 2011 schließlich zum Beruf gemacht mit regionalem Schwerpunkt auf der Neumark. Er arbeitet unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher e.V. (AGOFF) mit und veröffentlicht neben Datenbankprojekten regelmäßig Artikel in verschiedenen Vereinspublikationen. Auf CompGen hat er bereits drei weitere Ortsfamilienbücher aus der Neumark und Niedersachsen online gestellt.
Aktuell sind die Einträge mit 427 Personen aus 151 Familien noch überschaubar. Das Ziel ist jedoch, mit steigender Datenmenge eine Grundlage für die Forschung zu schaffen, die es z. B. ermöglicht, geografische Verbreitungen und Bewegungsmuster zu erkennen. Gleichzeitig möchte der Genealoge die über 600-jährige Tradition der Sinti in Deutschland sowie das Ausmaß des Völkermords sichtbar machen.
Erschwerte Forschungsbedingungen
Der Familienforschung soll die Datenbank eine gezielte Recherche ermöglichen. Wie schwierig die Forschung bei Ortswechsel der Vorfahren werden kann, haben die meisten von uns wohl schon erlebt. Durch die überwiegende Nichtsesshaftigkeit der Sinti lassen sich Familienzusammenhänge selten klar ermitteln. Hinzu kommt, wie der Forscher berichtet, dass Geburten nicht immer gemeldet wurden und Eheschließungen teilweise nicht offiziell, sondern nach eigenen Regeln stattfanden. Personen konnten dadurch mal unter dem Familiennamen der Mutter, mal unter dem des Vaters auftauchen.
Bei der Identifizierung helfen Stefan Rückling die Familiennamen ebenfalls nur bedingt. Zwar konnte er inzwischen besonders häufig auftretenden Namen ermitteln, jedoch sind diese nicht auf Sinti beschränkt. Erst die Kombination mit einschlägigen Berufen und Hinweisen auf Nichtsesshaftigkeit gibt den Ausschlag. Die Vornamengebung der überwiegend katholischen Sinti unterscheidet sich nach seinen Beobachtungen ebenfalls nicht von denen der Mehrheitsgesellschaft.
Geografisch ist die Datenbank auf den historischen deutschen Raum begrenzt. Auch das ist schon ambitioniert, wie Stefan Rückling zugibt. Aus Machbarkeitsgründen fokussiert er sich momentan erst mal auf die Archive, in denen er auch beruflich forscht. Nach Feierabend durchsucht er Online-Datenbanken nach entsprechenden Schlagworten und sichtet Literatur. Den zeitlichen Rahmen bilden das erste Auftreten der Sinti in Deutschland Anfang des 15. Jahrhundert sowie das Einsetzen der Schutzfristen im 20. Jahrhundert, wobei die jüngeren Quellen deutlich zahlreicher sind.
Die Arbeit an dem Projekt wird Stefan Rückling wohl noch eine lange Zeit beschäftigen. Einen Beitrag dazu, dass die Datenbank möglichst bald sowohl ihre angestrebte Gedenkfunktion erfüllen als auch eine Datenbasis für die dringend benötigte Forschung zum Thema bilden kann, könnte auch die Familienforschungs-Community leisten. Jede Zusendung qualifizierter Archiv-, Literatur- und Datenbankfunde mit entsprechenden Quellenangaben hilft. Nähere Angaben enthält das Datenbank-Vorwort.