Niederländische Entnazifizierungsakten werden 2025 frei zugänglich
Am 1. Januar 2025 entfällt der gesetzliche Datenschutz für die Akten über niederländische Bürger, die verdächtigt wurden, im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaboriert zu haben werden. Die Unterlagen zur „Entnazifizierung“ werden im niederländischen Zentralarchiv für Sondergerichtsbarkeit (Centraal Archief Bijzondere Rechtspleging CABR)) aufbewahrt. Im Projekt „Der Krieg vor Gericht“ werden bis 2027 die 3,8 Kilometer Akten digitalisiert und durch künstliche Intelligenz lesbar gemacht.
Zwischen 1944 und 1952 wurde gegen mehr als 300.000 niederländische Bürger ermittelt – wegen Hochverrats, der Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Organisation in den Niederlanden (NSB), dem Dienst in der deutschen Armee, der Waffen-SS oder im Arbeitsdienst. In den Akten befinden sich sowohl Personen, die zu einer Strafe verurteilt wurden, als auch solche, bei denen sich der Verdacht als unbegründet erwies.
Zurzeit kann dieses Archiv wegen der aktuell noch gültigen Datenschutzbestimmungen nicht selbst durchsucht werden, aber man kann es besuchen und Akten einsehen. Dazu muss ein Antrag auf Einsichtnahme gestellt werden, mit Angabe des vollständigen Namens und des Geburtsdatums der gesuchten Person sowie einigen weiteren zusätzlichen Angaben, wie Wohnort und Beruf. Ein Mitarbeiter des Nationalarchivs führt dann eine Vorrecherche durch. Bei der Einsichtnahme in Dokumente des CABR dürfen keine Fotos oder Scans angefertigt werden, aber man kann sich Notizen machen.
Das Stadtarchiv Amsterdam bewahrt eine gedruckte Liste mit 17.129 Mitgliedern des NSB aus Amsterdam aus der Zeit von ca. November 1940 bis ca. Juni 1942. Weitere Listen zu belasteten Bürgermeistern und Notaren wurden aus der niederländischen Staatszeitung entnommen.
Diskussionen in den Niederlanden: Wissen oder lieber vergessen?
Die Veröffentlichung der Daten aus dem Nationalarchiv hat eine große gesellschaftliche Bedeutung. Einerseits haben die Bürger ein Recht auf Information und es wird ein vollständigeres Bild über die Kriegszeit entstehen. Andererseits ist es ein Dilemma, das mit der Online-Stellung der Daten verbunden ist, denn es sind sowohl Angehörige von Tätern als auch von Opfern betroffen. Für die Familien- und Ahnenforschung werden die Akten von Interesse sein.
Aber ist das klug, dass die Niederländer demnächst zu Hause am Laptop auf Knopfdruck sehen können, ob der Großvater oder die Großmutter des Nachbarn, Freundes oder Kollegen im Krieg auf der Seite des Unrechts waren? Angenommen, die Familie stand während des Krieges auf Seiten der deutschen Besatzer. Will man das wirklich wissen? Hat jeder das Recht zu erfahren, welche Fehler der Großvater im Krieg gemacht hat, oder wollen wir die Vergangenheit lieber ruhen lassen? Diese Fragen stellte Jikke Zijlstra auf der Webseite des kirchlichen Radio- und Fernsehsenders „EO“ und forderte zur Diskussion auf, an der sich viele Leser beteiligt haben.
Wer Niederländisch versteht, kann sich auch hier den Film „Oorlogsarchieven online openbaar“ („Kriegsarchive werden online zugänglich“) anschauen.
Entnazifizerungsakten in Deutschland liegen in den Landesarchiven und im Bundesarchiv Berlin. Digitalisate aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind auch online einsehbar.