Wie öffentliche Genealogie-Daten der Wissenschaft helfen: Hypergamie
Haben Ihre Vorfahren, insbesondere die weiblichen, “strategisch” geheiratet und versucht, ihren Wohlstand und ihr Ansehen durch “eine gute Partie” zu erhöhen? Der Fachbegriff dafür lautet “Hypergamie”, also die Praxis der Heirat oder Partnerschaft mit einer Person mit höherem sozialem oder wirtschaftlichem Status. Das ist nicht nur für die Familien- und Ahnenforschung interessanter, sondern auch von sozial-wissenschaftlichem Interesse. Die Abwesenheit von Hypergamie ist somit Teil der Erklärung, warum manche Familie über Generationen hinweg großen Wohlstand anhäufen, und andere durchgehend arm bleiben. Andersherum: Die Anwesenheit von Hypergamie könnte langfristig zur Gleichverteilung von Vermögen beitragen. Nachfolgend zeigen wir, wie öffentliche Genealogie-Daten der Wissenschaft bei der Untersuchung solcher Phänomene wie der Hypergamie helfen.
Von Freiwilligen gesammelte Daten für England
Die vorläufige Studie Hypergamy Revisited: Marriage in England, 1837-2021 nutzt genealogische Daten aus England, die von 1837 bis 2021 reichen. Die Ökonomen Gregory Clark und Neil Cummins von der London School of Economics and Political Science greifen dabei auf zwei verschiedene Datenquellen zurück:
Zum einen nutzen sie eine umfangreiche Datenbank mit 1,7 Millionen Eheschließungen aus dem Zeitraum 1837 bis 2021, die bis zum Jahre 2010 von der “Freereg Organization of Genealogy Volunteers” digitalisiert wurden und im Internet zur Verfügung stehen. Sie ermöglicht es den Autoren, umfassende Analysen über die offiziell erfassten Eheschließungen im Laufe der Zeit durchzuführen. Zusätzlich verwenden die Autoren staatliche Register für Eheschließungen und Geburten seit 1912 zum Abgleich, wobei die staatlichen Daten nur Nachnamen enthalten.
Die Aufzeichnungen erfassen so Veränderungen in der Zusammensetzung von Familien und damit Trends in der Partnerwahl im Laufe der Zeit. Sie tragen aufgrund ihrer Detailtiefe über die Familienstruktur und -dynamik entscheidend dazu bei, Änderungen in der Zusammensetzung und Partnerwahl nachzuzeichnen. Das ermöglicht die Erfassung und die Prüfung von Hypergamie über verschiedene Zeiträume sowie eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften hinweg. So kann nachvollzogen werden, wer wen heiratete, welche sozialen Schichten und Regionen involviert waren und wie sich die Familiendynamik im Laufe der Zeit veränderte.
Keine Hypergamie im England des 19. und 20. Jahrhunderts
Für England kann die Studie das maßgebliche Vorhandensein von Hypergamie ausschließen. Der Unterschied im sozialen Status scheint keine Rolle bei den Eheschließungen im England des 19. Jahrhunderts gespielt zu haben. Mit anderen Worten: Reiche Männer heirateten reiche Frauen, arme Frauen heirateten arme Männer. Dabei zeigten englische Frauen in ihren Eheschließungen auch keine größere soziale Mobilität als Männer: Frauen und Männer wählen ihre Partner in ähnlicher Weise hinsichtlich des Familienstatus aus.
Hypergamie im internationalen Vergleich
Da sozialer Aufstieg durch Heirat bisher eher als Standard angenommen wurde, ist die in der Studie nachgewiesene Abwesenheit von Hypergamie für England interessant. Dagegen zeigt aber die kürzlich erschienene Studie The Economics of Hypergamie (DOI: doi.org/10.3368/jhr.58.3.1219-10604R1), das Hypergamie in der heutigen norwegischen Gesellschaft überaus präsent ist. Dort hat das erhebliche Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen und die Erwerbsbeteiligung sowie auf die soziale Mobilität und die Geschlechterbeziehungen.
Die unterschiedlichen Ergebnisse machen deutlich, dass noch weitere Untersuchungen erforderlich sind; und sie unterstreichen die Bedeutung genealogischer Daten sowie der Sammlung und Verarbeitung historischer Familiendaten. Somit bleibt die Frage: Wann nutzt jemand Daten des Vereins für Computergenealogie (CompGen), um Hypergamie für die deutschen Länder zu untersuchen?
Allerdings bestätigte die Studie von Clark und Cummins zu England doch eine weit verbreitete Annahme, die zwingend aus dem beobachteten Muster folgt: Bei der Partnerinnenwahl spielte das Aussehen eine Rolle, wenngleich eine eher moderate. Und das gilt unabhängig vom sozialen Status: Reiche Männer achteten gleichermaßen auf das angenehme Äußere der Frau wie arme Männer.