Wie öffentliche Genealogie-Daten der Wissenschaft helfen: Langlebigkeitsforschung
Genealogische Daten werden oft in mühsamer Kleinarbeit von engagierten Genealogen zusammengetragen. Sie sind aber auch für die Wissenschaft von großem Wert – wenn sie offen und frei zugänglich sind. Eine neue Reihe* soll beleuchten, zu welchen neuen Einsichten die Wissenschaft dank genealogischer Daten gelangt ist. Diesmal zeigen wir, wie öffentliche Genealogie-Daten der Wissenschaft bei der Langlebigkeitsforschung helfen:
Vererbte Langlebigkeit
Wenn ein Mensch sehr lange lebt, zu welchem Anteil liegt das an seinen Genen? Anders gefragt: Wenn Ihre Eltern über 100 Jahre alt wurden, mit welcher Wahrscheinlichkeit werden Sie auch über 100 alt?
Um diese Frage zu beantworten eignen sich genealogische Daten hervorragend. Sie liefern die Verwandtschaftsbeziehungen und die Lebensdauer, und das für sehr viele miteinander verwandte Personen. Durch Zeitangaben und geographische Angaben lassen sich auch externe Umwelteinflüsse (gutes Wetter, Kriege, Seuchen, etc.) heraus rechnen. Dadurch, dass man weiß, wer mit wem zeitgleich in einem Haus gelebt hat, lassen sich auch Haushalts-spezifische Effekte, die alle Personen gleichermaßen getroffen haben, schätzen. Dazu gehören beispielsweise ein geräumiges Haus oder schädliche Nähe zu einem Sumpf.
Es gibt praktisch keine andere Möglichkeit, vererbte Langlebigkeit zufriedenstellend ohne genealogische Daten zu schätzen. 2018 hat ein 14-köpfiges Autorenteam um Yaniv Erlich und Joanna Kaplanis vom New York Genome Center frei zugängliche genealogische Daten von Geni (welches zu MyHeritage gehört) analysiert. Die Studie “Quantitative analysis of population-scale family trees with millions of relatives” erschien in der renommierten Fachzeitschrift Science erschien (DOI: 10.1126/science.aam9309) und wurde hier im CompGen-Blog im selben Jahr kurz besprochen.
Daten reichen bis ins Mittelalter
Kaplanis und die anderen Autoren haben einen 13 Millionen Personen umfassenden Stammbaum sowie 5,3 Millionen weitere kleinere Stammbäume analysiert. Insgesamt konnten sie auf 86 Millionen Personenprofile zugreifen. Dank dieses Datenschatzes konnten Probleme früherer Studien (Umwelteinflüssen korrekt heraus zu rechnen oder eine kleine Stichprobengröße) ausgeglichen werden
Natürlich ist Langlebigkeit eine dynamische Sache: Im 21. Jahrhundert 80 Jahre alt zu werden ist zum Glück keine Seltenheit mehr. Im Mittelalter wäre dieses Alter wahrscheinlich als Wunder betrachtet worden. Langlebigkeit ist daher definiert als Anzahl der Jahre über dem erwartbaren Lebensalter.
Die bisherigen Schätzungen gingen von einer Langlebigkeit-Vererbbarkeit (“narrow-sense heritability of longevity”) von etwa 25 Prozent aus. Das bedeutet, ein Viertel der Variation in der Langlebigkeit einer Generation wird erklärt durch die Variation der Langlebigkeit der Elterngeneration.
Mit den öffentlich zugänglichen Daten von Geni haben Kaplanis und Koautoren nun einen anderen Wert errechnet. Sie schätzen die Langlebigkeit-Vererbbarkeit auf 16 Prozent.
Das bedeutet zweierlei: Einerseits sind dies gute Nachrichten für alle Menschen, deren Vorfahren jung an natürlichen Ursachen verstorben sind. Denn je geringer die Vererbbarkeit von negativen Einflüssen desto höher die Chancen, dennoch alt zu werden. Zum anderen bedeutet dies, dass die Wissenschaft weniger auf genetische Daten bauen sollte, um zu erklären, warum Menschen lange leben.
* Mit einer Reihe von Beiträgen soll hier im Blog dargestellt werden, wie die Wissenschaft von genealogischen Daten profitieren kann.
Wer eigene Forschungsergebnisse für die Datenbanken zur Verfügung stellen oder sich in den Projekten des Vereins für Computergenealogie e.V. (CompGen) engagieren möchte, findet hier Informationen dazu.