Medizin-Nobelpreis geht an Evolutionsforscher Svante Pääbo
Den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhält in diesem Jahr erstmals ein Forscher, der das Wissen über die Evolution des Menschen revolutioniert hat. Der Preis fällt damit in den Bereich der Physiologie, die heute bei der Preisvergabe alle Aspekte der Biologie umfasst; die traditionelle Bezeichnung stammt aus der Gründungszeit des Preises um 1900.
Für die Ahnen- und Familienforschung ist die Kenntnis von der Evolution des Menschen von großer Bedeutung, wollen wir doch alle wissen, von wem wir abstammen und wo wir herkommen.
Svante Pääbo gilt als Begründer der Paläogenetik, also der Forschung mit DNA aus fossilen und prähistorischen Quellen – dafür wird er jetzt ausgezeichnet.
Er wurde 1955 in Stockholm geboren. Seine Mutter ist die estnischen Chemikerin Karin Pääbo, sein Vater der Biochemiker und Medizin-Nobelpreisträger Sune Bergström. Svante Pääbo studierte zunächst Ägyptologie, Russisch und Wissenschaftsgeschichte, später auch Medizin in seiner Geburtsstadt Stockholm. Schon als Doktorand fragte er sich bei seinen molekularbiologischen Untersuchungen: Kann man auch DNA aus totem Gewebe analysieren? Die Antwort war: ja – es gelang ihm 1984 als erster mit der DNA einer ägyptischen Mumie. Nach seiner Promotion konnte er seine Methodik in den USA weiterentwickeln.
Bekannt wurde Svante Pääbo aber vor allem durch die DNA-Analysen an unseren ganz frühen Vorfahren. 2008 entdeckte er eine zuvor unbekannte Menschenart, die nach dem Fundort, der sibirischen Denisova-Höhle benannt wurde. Ohne genetische Analysen wäre diese Entdeckung nicht möglich gewesen, dafür fand man viel zu wenige Knochenfragmente, vor allem keine Schädelknochen. 2010 sequenzierte er erstmals das Genom eines Neandertalers. Seit 1997 forscht Svante Pääbo am damals neu gegründeten Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie; seit 1999 ist er einer der Direktoren und leitet die Abteilung Evolutionäre Genetik.
Dank paläogenetischer Analysen wissen wir heute auch, wie wohl die Begegnungen der Einwanderer aus Afrika von der Art Homo sapiens – also der Art, von der wir abstammen – mit hier lebenden Population in Asien und Europa abliefen: Man findet heute im menschlichen Erbgut einige Prozent Denisova- und Neandertaler-Gene. In einem Interview sagte Svante Pääbo dazu: „Die Interpretation davon muss sein, dass man wenige Vorurteile hatte, wenn man sich getroffen hat. Man hat sich oft miteinander gemischt.“ Und ergänzt mit einem Schmunzeln „Wenn man sich getroffen hat, hat man es toll gefunden.“
Schon vor den paläogenetischen Untersuchungen war allerdings bekannt, dass Neandertaler-Skelette keine Verletzungen aufweisen, die auf kriegerische Auseinandersetzungen schließen lassen – im Gegensatz zu Narrativen von einem Krieg zwischen Homo sapiens und Neandertalern, die zeitweise populär waren, aber keine wissenschaftliche Grundlage haben.
Die 2 % Neandertaler-Gene im Erbgut heutiger Menschen sind nicht bedeutungslos. Unter anderem beeinflussen sie unser Immunsystem und die Anfälligkeit für Allergien. Eine Neandertaler-Sequenz verdreifacht das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. In Südasien trägt etwa die Hälfte der Bevölkerung die Neandertaler-Variante, in Europa einer von sechs Menschen. Svante Pääbo berichtete bei einer Pressekonferenz zu seinem Nobelpreis am Montag, dass er mit seinem Team derzeit die Funktion dieser Gensequenz im Vergleich zur „modernen“ Variante untersucht – in der Hoffnung, dadurch bessere Behandlungmöglichkeiten zu finden. Allerdings gibt es auch eine andere, weiter verbreitete Neandertaler-Sequenz, die eben das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf senkt.
Natürlich versucht Svante Pääbo auch weiter, das größte Rätsel der menschlichen Evolution zu lösen: Warum hat sich der Homo sapiens durchgesetzt und nicht der Neandertaler oder der Denisovaner?