Rückschau auf die IGGC 2021
Bereits im Vorfeld hatten wir hier im Blog die dritte Konferenz der International German Genealogy Partnership (IGGC) angekündigt, die im Juli 2021 erstmals virtuell stattfinden sollte. Anfang August veröffentlichten wir dann einen Bericht von Georg Palmüller (AhnenforscherStammtischUnna) über die einwöchige Veranstaltung. Nun hat auch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Genealogischer Verbände e.V. (DAGV), der Dachverband, dem auch CompGen angehört, in ihrem aktuellen Newsletter 01-02/2021 die diesjährige Tagung thematisiert. Dort hält der DAGV-Vorsitzende Dirk Weissleder eine – durchaus kritische – Rückschau auf die IGGC 2021. Weissleder, der bei der International German Genealogy Partnership die Funktion des 2. Vizepräsidenten bekleidet, schreibt:
(Redaktionelle Vorbemerkung: Der recht lange Text wurde mit Zwischenüberschriften gegliedert, die im Original nicht enthalten sind).
Kongressbericht IGGC III
Nach Minneapolis, Minnesota 2017 und Sacramento, Kalifornien 2019 folgte vom 17. bis 24. Juli 2021 die dritte, diesmal aber virtuelle Ausrichtung einer International German Genealogy Conference, wiederum in den Vereinigten Staaten. Neben der Tatsache, infolge der Pandemie über Videokonferenzsysteme bzw. einer eigenen Plattform Whova eine virtuelle Zusammenkunft zu ermöglichen, dauerte das Event tatsächlich eine ganze Woche (!), was beides alleine schon bahnbrechend ist. James Beidler und Nancy Myers gilt hierfür besonderer Dank sowie den ungezählten Freiwilligen (von deutscher Seite waren Timo Kracke, Sebastian Gansauer an Bord) sowie der Firma Playback Now, ohne die eine solche Mammutveranstaltung innerhalb einer Zeit von weniger als einem Jahres Planung völlig unmöglich gewesen wäre.
Großer Aufwand, hohe Kosten
Ursprünglich sollte es eine traditionelle Veranstaltung in Cincinati, Ohio geben, doch bekanntermaßen hatte die Pandemie allen Ideen und Vorbereitungen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Modernste Technik nun weltweit nutzen zu können war die einzige Chance, 2021 überhaupt unter dem Dach einer Konferenz des Dachverbandes der internationalen deutschen Genealogie zusammenkommen zu können. Naturgemäß wurde insbesondere durch die überall spürbare Technikbegeisterung mehrheitlich das amerikanische Publikum angesprochen. Leider hatten hoch zu lobende und einzigartige bilinguale Angebote nicht ausgereicht, auch die deutschsprachigen Genealogen aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich in nennenswerter Zahl zu erreichen, was nur zu bedauern ist und Diskussionen innerhalb der IGGP, aber auch und gerade in Deutschland zur Folge haben wird.
Ja, die IGGP III war anders als die Genealogica in Deutschland und die RootsTech Connect weltweit. Die großen Zeitunterschiede zwischen Nord- und Südamerika, Europa und Australien fielen nicht so sehr ins Gewicht, weil selbst Live-Angebote später zeitversetzt online aufgerufen werden konnten, Vorträge vielfach auch voraufgezeichnet waren und Fragen im Chat eingereicht werden konnten. Insgesamt zahlende 830 Teilnehmer sind ein untrüglicher Beweis dafür, dass es für das vorgestellte Angebot tatsächlich einen Bedarf an 62 Vorträgen, 45 Connection Sessions sowie Übersetzungshilfe aus der Family History Library in Salt Lake City gab. Nachdenklich machen neben den nach deutschen Gewohnheiten hohen Teilnehmergebühren vielmehr ein gänzlich anderes Verständnis darüber, was eine solche zumal internationale Konferenz leisten kann und leisten soll.
Forscheraustausch oder Unterhaltung?
Neben den Kontaktmöglichkeiten dürfte es aus deutscher Sicht vor allem der Austausch von und über Forschungen sein, was durch die Vorträge und die inhaltlichen Hilfestellungen natürlich angeboten und genutzt wurde. Doch bleibt der Eindruck, dass Unterhaltung hier der Vorrang durch das Konsumieren von diversen Angeboten eingeräumt wurde. So aber kennt man es von anderen amerikanischen Veranstaltungen. In Deutschland schwingt bei Unterhaltung ja immer etwas weniger Wertvolles, also eine negative Konnotation mit. Man muss es aber weder so sehen noch so bewerten. Befremdlich allerdings war der Eindruck eines Wettbewerbs der Teilnehmer, um möglichst viele Punkte durch das Verknüpfen mit anderen Teilnehmern, Senden von elektronischen Nachrichten (insgesamt waren es 15.517, was bei der Teilnehmerzahl im Durchschnitt 18 Stück macht) und Teilen von Fotos und sonstigen Materialien zu erhalten und möglicherweise oder tatsächlich mit Preisen belohnt zu werden. Ist es wieder einmal zu deutsch danach zu fragen, wem außer kommerziellen Anbietern diese Datensammelwut Vorteile gebracht haben könnte? Hat dies überhaupt etwas mit der Mission der IGGP zu tun oder ist es lediglich ein Blick in die Zukunft der organisierten Genealogie international, national und lokal? Ein Konferenzformat nach Vorbild der Social Media mit Likes, Belohnungen und dem ewig Neuen?
Ein unterschiedliches Verständnis von Unterhaltung und dem Wunsch nach Erforschung der eigenen Vorfahren war also mit Händen zu greifen, aber anhand der tatsächlich unterschiedlichen Bedürfnisse mag das auch egal sein. Eine internationale Konferenz sollte jedoch stärker Bezahlwille und Bezahlfähigkeit potentieller Gäste in den Fokus nehmen, gerade dann, wenn es nur darum gehen kann, möglichst viele Teilnehmer weltweit einzubinden. Auch wurde eine große Chance vertan, angesichts der Absagen zweier Deutscher Genealogentage in Folge, hier eine noch viel größere Zusammenkunft zu ermöglichen. Und ist es wiederum zu deutsch gedacht, sich darüber zu wundern, dass in einer Konferenz zu deutscher Genealogie vielmehr die heutige Bundesrepublik, die Schweiz und Österreich logischerweise im (einzigen) Fokus liegen müsste, wenn es darum geht, gerade auch dem mehrheitlich US-amerikanischen Publikum einen wirklichen Benefit für ihre Vereine und Gruppen bzw. in ganz persönlichen Forschungen zu geben? Gab es Antworten auf die Fragen, was verbindet uns und vor allem, was verbindet uns mit Deutschland? Ist das international (!) Gemeinsame mit dieser Konferenz größer geworden? Kommt es nach der guten Unterhaltung, den qualitativ hochwertigen Vorträgen tatsächlich zu einer ehrliche Saldierung, welchen Forschungserfolg eine solche Veranstaltung am Ende tatsächlich hat?
Nicht Technik, sondern die Expertise von vielen an unterschiedlichsten Stellen wird für den Erfolg von genealogischen Forschungen entscheidend sein, lokal, national wie international. Technik ist ein Werkzeug, nicht die Lösung. Keine Maschine wird uns die Dimensionen eröffnen, die wir nach aller Sacharbeit tatsächlich emotional zu durchdringen trachten. Einen solchen Eindruck der großen Inhalteanbieter gilt es argumentativ entgegenzutreten, denn das Marketing-Versprechen, dass alles so leicht geht, ist ein solches, das gar nicht gehalten werden kann. Wie kann die Rekonstruktion vielschichtiger historischer Entwicklungen einfach sein, wenn diese schon damals komplex waren und je nach zeitlichem Abstand immer komplexer scheinen. So erreichen wir gemeinsam weder gleiche noch ähnliche Ziele. In den Vereinen mag nun die Angst um sich greifen, ob eine solche Konferenz eine Konkurrenz zu den klassischen Strukturen darstellt; dieser Sorge gilt es zu begegnen, denn die Vereine und Gruppen hatten die einzigartige Chance sich vorzustellen. Und sie sind es ja auch, die sich vor Ort engagieren.
Die vom Autor auf dem virtuellen Nachrichten-Brett bereitgestellte Namensliste ganz konkreter deutscher Auswanderer 1851 via New Orleans wurde überhaupt nicht angenommen. Ob aus Desinteresse oder weil es einfach übersehen wurde, bleibt unklar, zeigt aber die Problematik nicht nur der Virtualität einer solchen Konferenz. Muße zur Forschung und die Aufnahme von Informationen mag in dem hier vertretenen Standpunkt nach notwendiger Ruhe und Tiefe von Lesern dieses Konferenzberichtes als altmodisch und „fad“ empfunden werden. Für den Autor dieser Zeilen scheinen Unterhaltung und „Connection“ nicht das gleiche wie Forschung zu sein.
Mehr deutschsprachige Forscher erwünscht
Wer mit einer Mordsgeschwindigkeit auf der Autobahn zwischen A und B hin- und herrast, weil die reine Geschwindigkeit so begeistert, braucht sich nicht zu wundern, die kleinen Ortschaften nicht gesehen zu haben. Dies erkannt zu haben bedeutet, dass bei Fortführung dieses Konzepts, immer wieder ein erster Einstieg in die Gesamtthematik der deutschen Genealogie weltweit, aber kein konkreter Forschungsfortschritt (weder insgesamt noch individuell), zu erwarten ist. Sollte dies so sein, tritt die Mission der IGGP nach Stärkung vorhandener Strukturen und dem internationalen Austausch nicht nur als Vision, sondern als schiere Notwendigkeit hervor, denn das Interesse der deutsch-sprachigen Forscher auf dieser Seite des Atlantiks werden als Gast einer zukünftigen IGGC oder als Unterstützer des weltweiten Dachverbandes überhaupt nur dann zu gewinnen sein, wenn ihre Perspektiven Eingang in das Ganze finden und ein Fortschritt ihrer eigenen Forschungen (beispielsweise nach Verwandten in den klassischen Auswanderungsländern) in greifbare Nähe rückt. Ist dies nicht der Fall, werden Konferenzen des hier beschriebenen Typs Zuspruch lediglich von viel zu wenigen erhalten. Hierüber gilt es nachzudenken und zu arbeiten.
Aus dem Gesagten folgt für die deutsche Seite logischerweise nur eines: Nach nunmehr drei internationalen Konferenzen deutscher Genealogie in den USA sollte es in Deutschland und darüber hinaus Motivation genug sein, auch im alten Heimatland oder an anderer Stelle, beispielsweise in Brasilien, eine eigene internationale Konferenz auf die Beine zu stellen, die stärker ihre Perspektiven und mögliche Beiträge in den Fokus nimmt. Eine rein virtuelle Konferenz möge es nach dem ersehnten Ende der Pandemie nicht mehr sein müssen, aber der hybriden Form gehört die Zukunft, die wieder persönliche Treffen und den Austausch zwischen Forscherinnen und Forschern, Archivaren, Bibliothekaren, Historikern usw. wieder möglich macht. Neben dem Hoffen gilt es nun, genau daran zu arbeiten.
Dirk Weissleder (DAGV/IGGP)