Hermann Grotefend – digital: Taschenbuch der Zeitrechnung
Erfahrene Genealogen und Historiker kennen den „Grotefend“, das Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Dieses Handwerkzeug zur historischen Chronologie hilft bei der Datierung historischer Ereignisse mit Heiligen- und Festtagskalendern, Regierungszeiten von Kaisern, Königen und Päpsten und Umrechnungstabellen verschiedener Kalender. Es erschien erstmals 1898 in der Hahnschen Buchhandlung (gegründet 1792) in Hannover und hat bisher 14 Auflagen erlebt.
Der Historiker und Archivar Hermann Grotefend (1845 – 1931) hat viele Archiv-Inventare editiert und Werke wie das Handbuch “Abriss der historischen Chronologie des deutschen Mittelalters und der Neuzeit” (1872) und das Standardwerk “Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit” (2 Bände 1891/1989) verfasst. Das Taschenbuch der Zeitrechnung ist eine komprimierte Fassung davon.
Digitalisierte “Grotefend”-Versionen
Am “Austrian Centre for Digital Humanities” der Universität Graz hat sich Elisabeth Raunig in ihrer Master-Arbeit ausführlich mit dem Inhalt des Taschenbuchs befasst. Natürlich nutzte sie neben den digitalisierten Grotefend-Versionen der Erstauflage von 1898 und der 5. Auflage von 1922 (die auch im GenWiki nachgewiesen werden) die viel interessantere Web-Version von Horst Ruth aus Münster. Der hat bereits 2004 das zweibändigen Werk „Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit“ in eine HTML-Version mit Suchfunktionen und Berechnungsalgorithmen online gestellt. Damit kann man z.B. die beweglichen Kirchenfeste wie Aschermittwoch, Ostern, Pfingsten oder Fronleichnam durch Eingabe des Jahres berechnen oder Daten in die des julianischen, jüdischen oder mohammedanischen Kalenders umrechnen.
Grotefend – digital im Semantic Web
Doch mit dieser bequem nutzbaren Version war die Wissenschaftlerin Elisabeth Raunig auch noch nicht zufrieden. Ihr fehlten für die Kalenderdaten und das Heiligenverzeichnis die direkte Vernetzung zu den Quellen, in denen die Heiligen und ihre liturgischen Festen verzeichnet sind. Für diese Kombination verschiedener Quellen und Daten kommt das “Semantic Web” als „Netz der Daten“ ins Spiel. Beim Semantic Web werden Daten so aufbereitet, dass sie durch ihre Beschreibung auch von Computern verstanden und ausgetauscht werden können. So entstehen Netzwerke an Informationen, in denen diese direkt miteinander in Beziehung gesetzt werden.
Nun hat Elisabeth Raunig am Beispiel der Heiligen und der Kirchen- und Ordenskalender aus den Angaben im Grotefend mit Hilfe der Beschreibungssprache des Semantic Web eine neue Darstellung mit “Grotefend digital” realisiert, in dem Kalender, Heilige und Quellen miteinander in Beziehung gesetzt und abgefragt werden können. Hier kann man für verschiedene Orte Kalender mit den Heiligen-Tagen oder den Gesamtkalender mit allen Festen erstellen. Das System ist für andere Quellen erweiterbar. Für die herkömmlichen Kalender-Be- und Umrechnungen muss jedoch weiterhin die Webseite von Horst Ruth verwendet werden.
Literatur:
- Helmut W. Klug, Elisabeth Raunig: Digital, digital oder digital? Was ist den (sic!) nun eigentlich wirklich damit gemeint? in Der Standard. Blog: Digitale Geisteswissenschaft vom 13.5.2021
- Elisabeth Raunig: Grotefend – digital: Eine digitale Kalenderanwendung für liturgische Kalender auf Basis einer RDF-Repräsentation von Grotefends Heiligenverzeichnis und Kalendersammlung. Masterarbeit, Graz 2021
- Webseite: Raunig, Elisabeth; Vogeler, Georg (Hrsg.). Grotefend – digital. Graz. 01/2021. hdl.handle.net/11471/562.30 (GAMS. 562.30.)