Die Genealogie der Hausnummern in Wien
Die “Geburtsurkunde” der ersten flächendeckend in der Habsburgermonarchie eingeführten Hausnummern ist die “Seelenkonskription” vom 10. März 1770. Sie ist zu finden im Urkundenbuch Codex Austriacum Band 6. Der genaue Titel lautet: „Seelen = Zugviehes = und Häuser – allgemeine Beschreibung“. Das war nichts anderes als eine Volkszählung zwecks Rekrutierung von Soldaten, Viehzählung und Haus-Nummerierung. Die Hausnummern sollten damals also nicht den Postboten ihre Arbeit leichter machen, sondern der Polizei Orientierung geben, wo sie wehrfähige Männer findet. Dass damit auch leichter Steuern erhoben werden konnten, war ein von der Obrigkeit gern genutzter Nebeneffekt.
Ein halbes Jahr nach Verkündigung der Konskription war – nach einer probeweisen Zusammenschreibung der Häuser im Wiener Vorort Simmering – der heutige Erste Bezirk der Wiener Innenstadt dran. Dafür brauchte die extra gebildete Kommission ein halbes Jahr, bis die 1.340 Häuser mit den Konskriptionsnummern versehen waren. Die Wiener Hofburg bekam die No. 1, alle weiteren Gebäude wurden durchnummeriert. An manchen Häusern sind diese Nummern heute noch aufgemalt zu sehen.
Mit der ersten Umnummerierung 1795 in Wien wuchs die zweite Generation der Hausnummern wegen der vielen Abrissen, Neubauten und Zusammenlegung von Häusern heran. Die dritte Neunummerierung fand 1820 aus denselben Gründen statt, bis sich im 19. Jahrhundert alle auch wieder über dieses Durcheinander beschwerten.
Mehr Ordnung im System
Erst mit der vierten Generation, der so genannten Orientierungsnummern, kam ab 1861 etwas mehr Ordnung in das System: Die Häuser wurden – wie schon seit 1805 in Paris – straßenweise nummeriert; die geraden Nummern auf der einen, die ungeraden auf der anderen Seite. Dafür waren über 12.000 Nummerntafeln in schwarzer Schrift auf weißem Untergrund in der “Schilder- und Oeldruck”-Firma von Michael Winkler (1822 – 1893) einheitlich fabriziert worden. Nun waren die Schilder je nach Bezirk verschiedenfarbig umrandet.
Die heute üblichen blauen Hausnummernschilder gab’s dann ab 1958. Dazu passende blaue Straßenschilder wurden ab 1923 eingeführt. Die Orientierungsnummern der vierten Generation wurden aber nicht entsorgt, sondern blieben im Inneren der Häuser erhalten, weil sie für die Eintragung im Grundbuch weiter benutzt wurden.
Der Historiker Anton Tautner hat die Geschichte der Hausnummerierung in Wien und die gesetzlichen Grundlagen dazu in seiner Dissertation erforscht und in zahlreichen Publikationen (s.u.) beschrieben. Sie können ihm folgen auf einen Spaziergang zu den Hausnummern Wiens und deren Geschichte. Sowohl die Dissertation als auch die Bücher Tautners sind sehr unterhaltsam zu lesen. Danke hier auch an Renate Fennes für den Hinweis in der Austria-L auf den Online-Vortrag:
Einladung zur Online-Führung
Anton Tantner lädt ein zu einer “Online-Flanerie: 250 Jahre Hausnummern in Wien“, am 29. April 2021 um 18:00 Uhr
Online-Raum
ZOOM-Meeting-ID: 989 2722 2556
Kenncode: 220847
Zur Person: Dr. Anton Tantner ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Registrierungs- und Identifizierungstechniken, die historische Medienwissenschaft und neue Medien in den Geschichtswissenschaften. 2013 wurde er von der Stadt Wien mit dem Preis für Stadtgeschichtsforschung ausgezeichnet.
Website: https://homepage.univie.ac.at/anton.tantner/
Literatur:
Häusernummerierung auf Wien Geschichte Wiki.
Nummerierungsblog: nummer.hypotheses.org
Anton Tantner: Die Hausnummern von Wien. Der Ordnung getreue Zahlen (=Enzyklopädie des Wiener Wissens; XXIV), Weitra: Bibliothek der Provinz, 2016.
Anton Tantner: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen – Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie. (=Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit; 4). Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 2007.
Anton Tantner: Die Hausnummer. Eine Geschichte von Ordnung und Unordnung. Marburg: Jonas Verlag, 2007.
Anton Tantner: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen ? Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie. Dissertation online (2004)