Kommunalarchive unterstützen – aber wie?
Kommunale Archive, also Gemeinde-, Stadt- oder Kreisarchive, sind aus mehreren Gründen für die Familienforschung ausgesprochen wichtig. Ein vorrangig zu nennender Grund ist ihre Zuständigkeit für Personenstandsregister und kommunale Meldedaten. Personenstandsregister entstanden und entstehen bei den (kommunalen) Standesämtern, Meldedaten bei den Einwohnermeldeämtern. Mit ihnen werden – in Ergänzung zu den Personenstandsregistern – grundlegende Informationen zur Bevölkerung einer Kommune dokumentiert: früher analoge Einwohnermeldekartei, Spezialkarteien wie z. B. Häuserkarteien und -bücher, jetzt Einwohnermeldedaten aus elektronischen Melderegisterverfahren. Daher werden sie von kommunalen Archiven grundsätzlich als archivwürdig bewertet, siehe z. B. die “Handreichung zur Bewertung von Unterlagen der kommunalen Ordnungsverwaltung Teil 2: Meldewesen und Bürgerservice” des (archivischen) Arbeitskreises Bewertung kommunalen Schriftguts in Nordrhein-Westfalen (ab S. 57).
Aber: Alle diese Unterlagen werden über lange Zeiträume in den Verwaltungen aufbewahrt. Erst nach dem Ablauf bestimmter (teilweise sehr langer) Fristen müssen sie von den Verwaltungen dem jeweils zuständigen Archiv angeboten werden. Während dieser Zeit gibt es stets die Gefahr, dass die Unterlagen nicht sachgerecht aufbewahrt werden und dadurch Schäden eintreten (z. B. durch Schimmelbefall) oder gar Verluste. Und auch der Unterhalt eines funktionsfähigen Archivs ist nicht völlig selbstverständlich: Ein Archiv braucht geeignete Räumlichkeiten, finanzielle Mittel und nicht zuletzt fachlich ausgebildetes Personal. Das alles kostet Geld.
Anlässlich einer Diskussion in der CompGen-Mitglieder-Mailingliste über den Verlust von standesamtlichen Unterlagen in der Stadt Gelsenkirchen wurde mir die Frage gestellt, wie man sich als “Otto Normalverbraucher denn konkret für Archive stark machen” könne. Eine gute Frage! Hier ein paar Anregungen dazu:
Welche Möglichkeiten haben Sie, sich für “Ihr” kommunales Archiv einzusetzen?
- Benutzen Sie es!
- Besuchen Sie Vorträge oder Ausstellungen im Archiv, machen Sie andere darauf aufmerksam.
- Sprechen Sie die Archivarin oder den Archivar an und erkundigen Sie sich, ob es Unterstützungsmöglichkeiten gibt und wie diese aussehen.
- Haben Sie Zeit und suchen eine sinnvolle Beschäftigung? Erkundigen Sie sich nach Möglichkeiten, ehrenamtlich Unterstützung zu leisten, z. B. bei der Transkription von Dokumenten in Kurrentschrift.
- Haben Sie Geld? Vielleicht sucht das Archiv einen Sponsor für die Restaurierung einer Urkunde oder für ein anderes konkretes Projekt.
- Hat Ihr örtliches Archiv bereits einen Förderverein? Treten Sie ein! Hat es keinen, ist aber der Idee gegenüber aufgeschlossen? Gründen Sie einen.
- Sind Sie in einem lokalen Verein aktiv? Kommen Sie mit dem Archiv ins Gespräch: Gibt es Vereinsunterlagen, die dauerhaft archiviert werden sollten? Wie kann der Verein das Archiv dabei unterstützen?
Nicht zu vergessen, sondern sehr wichtig: Politik, Verwaltung, Medien!
- In vielen Städten und Gemeinden gibt es bei Ratssitzungen Einwohnerfragestunden. Fragen Sie dort nach der Situation des Archivs und zeigen Sie Interesse an einer sachgerechten Archivierung.
- Bürgerinnen und Bürger können als Gast an Sitzungen des Kulturausschusses teilnehmen, ebenso an Sitzungen des Finanzausschusses. Informieren Sie sich! Bei passender Gelegenheit können Sie für eine angemessene Unterbringung kommunaler Unterlagen und finanzielle / personelle Ausstattung des Archivs plädieren.
- Haben Sie eine positive Erfahrung mit dem Archiv gemacht? Schreiben Sie dem Bürgermeister davon!
- Ist die Situation des Archivs unbefriedigend oder haben Sie negative Erfahrungen mit dem Archiv gemacht? Nehmen Sie Kontakt mit dem Archivträger auf und verweisen Sie auf Defizite und mögliche Verbesserungen.
- Kennen Sie Angehörige des Stadt- oder Gemeinderates? Sprechen Sie sie auf den Stand der kommunalen Archivierung und das Archiv an.
- Gibt es lokale / regionale Medien wie eine (Online-)Zeitung, lokale Soziale-Medien-Gruppen, einen städtischen Blog? Regen Sie Beiträge über das Archiv an, schreiben Sie Leserbriefe.
Bilanzierend zu der Frage, wie man sich als “Otto Normalverbraucher denn konkret für Archive stark machen” könne: Informieren Sie sich über die Situation in Ihrer eigenen Kommune. Nehmen Sie Kontakt mit dem Archiv auf. Werden Unterlagen regelmäßig aus den Verwaltungen in ein (den Namen verdienendes) öffentliches Archiv übernommen? Gibt es konkrete Pläne, wie die Archivierung elektronischer Unterlagen (z. B. aus einem Ratsinformationssystem) erfolgen soll?
Und wenn Sie sich einen Überblick verschafft haben, entscheiden Sie, wie SIE sich für die Sicherung von Archivgut engagieren können.
Und was tun, wenn es kein funktionsfähiges Archiv gibt? Denn “Archiv” ist nicht die Papierablage im Keller des Rathauses. Ein Archiv, das diesen Namen verdient hat, hat vielfältige Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören die Überlieferungsbildung (u. a. Beratung der abgebenden Stellen bei der analogen wie digitalen Schriftgutverwaltung, Bewertung angebotener Unterlagen auf Archivwürdigkeit, Betreuung von Sammlungen), Erschließung (Ordnung und Verzeichnung von Archivgut, Online-Stellung von Verzeichnungsinformationen), Benutzung und Auskunftstätigkeit (Beantwortung von Anfragen, Benutzerberatung), Öffentlichkeitsarbeit und Historische Bildungsarbeit (u. a. Projekte mit Schulen, Internetauftritt, Publikations- oder Vortragstätigkeit), Bestandserhaltung und Magazinierung. Auch die Archivierung elektronischer Unterlagen und die Digitalisierung ausgewählter analoger Bestände sind anspruchsvolle Aufgaben, die oft nur im Verbund mit anderen Archiven zu lösen sind. Wenn Ihre Kommune kein Archiv in diesem Sinne hat: Werden Sie aktiv! Suchen Sie Verbündete und machen Sie deutlich, dass es um die Sicherung des kommunalen Gedächtnisses geht – nicht weniger.
Kurze Schlussbemerkung: Zwar habe ich als Vorstandsmitglied im Landesverband Sachsen im VdA einen recht guten Überblick auch über die Lage der sächsischen Kommunalarchive, arbeite aber nicht selbst in einem. Herzlichen Dank daher auch an Dagmar Hemmie, Jens Bemme, Judith Matzke, Tim Odendahl und Grit Richter-Laugwitz für ergänzende Hinweise!