Friedhöfe im Schluckenauer Zipfel Bestandsaufnahme deutscher Grabsteine
Im Norden Tschechiens wurde jetzt ein umfangreiches Grabstein-Projekt abgeschlossen. Erstmals ist damit eine komplette Region der alten Heimat vollständig dokumentiert. Alle noch vorhandenen, entzifferbaren deutschen Grabsteine im Schluckenauer Zipfel/Nordböhmisches Niederland wurden fotografiert und die Angaben zu den Personen abgeschrieben. Diese Daten wurden im Internet auf der Seite des Grabstein-Projekts des Vereins für Computergenealogie e.V. (http://grabsteine.genealogy.net) öffentlich zugänglich gemacht und sind nicht zuletzt für künftige Generationen archiviert.
Das Projekt wurde von Sebastian Weise aus Halle (Saale) in Zusammenarbeit mit der Sudeten-deutschen Heimatpflege bestritten und wurde aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration gefördert. Der Träger des Sudetendeutschen Kulturpreises für Bildende Kunst 2017 hat in mehrmonatiger Arbeit 38 Friedhöfe besucht und fotografiert. Als Modellregion wurde der Schluckenauer Zipfel ausgesucht, weil Weises Vorfahren aus Zeidler und Fugau stammen und er sich schon lange künstlerisch mit der Region beschäftigt. Der Landstrich grenzt mit drei Seiten an Deutschland und ist der nördlichste Zipfel Böhmens.
Die Umstände vor Ort stellten sich unterschiedlich dar: Von Gottesackern, die noch in Nutzung waren und auch die alten deutschen Gräber in grundhafter Pflege unterhielten, bis hin zu völlig überwachsenen, aufgegebenen Flächen und Ortschaften war die ganze Bandbreite vorzufinden. Es wurde jeweils ein Bild des Grabsteins mit der kompletten noch erhaltenen Inschrift und eines der gesamten Grabstätte gemacht. Insgesamt kamen fast 8.100 Aufnahmen zusammen. Als dritter Schritt ergab sich die Sichtung und Aufarbeitung der Fotos und die Einpflege der Daten in Datenlisten. Alle Angaben wie Geburts- und Sterbedaten, Ortsangaben und Hinweise zu Beruf und Auszeichnungen und ähnliche Inschriften (außer Sinnsprüche) wurden vollständig übernommen. Es wurden die Daten von 7.071 Personen erfasst, die auf 3.188 noch lesbar beschrifteten Grabstätten ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die Zahl der noch auszumachenden Gräber ist weitaus höher, hier wurde mangels noch vorhandener Inschriften oder Grabsteine auf eine Dokumentation verzichtet. Es wurden aber Ansichten der brachliegenden Grabfelder fotografiert.
Die gesammelten Daten ergeben einen Querschnitt des Lebens im Schluckenauer Zipfel vor der Vertreibung. Interessant aus kultureller Sicht sind die vermerkten Berufe der Verstorbenen. Sehr stolz war man zum Beispiel auf alle Bereiche des Verkehrswesens, so war ein Lokheizer oder Straßenwärter ein ehrbarer Beruf und wurde als dieser in Erinnerung gehalten; heute wäre dies sicher ein Kuriosum. Auch die Strukturen von Familien und die Verteilung von Namen lässt sich mit den Datenlisten nachvollziehen. Hinweise zu den damals beliebten Vornamen ergeben sich ebenso. Selbstverständlich ist diese Datenauswertung nicht repräsentativ.
Die Umstände zum Erhalt der alten deutschen Grabstätten sind in den einzelnen Ortschaften sehr unterschiedlich gewesen, einige Gemeinden bemühen sich um die Sicherstellung und Verwahrung der Steine, einige lassen großzügig beräumen, wieder andere lassen den Dornröschenschlaf der alten Friedhöfe andauern. Das Grabstein-Projekt im Schluckenauer Zipfel hat den Status Quo in einem gesamten ehemaligen Verwaltungsbezirk festgehalten und ist für eine künftige Bestandssicherung eine wichtige Grundlage. Auch andere sudetendeutsche Regionen sollten nach diesem Beispiel möglichst umfassend dokumentiert werden. Die Mitarbeit am Grabstein-Projekt des Vereins für Computergenealogie e.V. ist für jeden Interessierten offen.
Text und Bild: Sebastian Weise